Landessozialgericht spricht Kind persönliche Assistenz für den Kita-Besuch zu!
In einem Beitrag vom Mai diesen Jahres hatten wir uns mit den Schwierigkeiten beschäftigt, mit denen hoch-allergische Kinder und ihre Eltern beim Besuch einer Kita konfrontiert werden.
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Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 27. August 2015, Az.: L 8 SO 177/15 B ER) verpflichtete jetzt in einem Eilverfahren den Landkreis Cuxhaven zu der Übernahme der Kosten für eine Person, die den vierjährigen Antragsteller im Kindergarten begleitet und seine Nahrungsaufnahme überwacht.
Der Antragsteller leidet an einer hochgradigen Erdnussallergie mit einem hohen Risiko einer systemischen allergischen Reaktion bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock.
Der Kindergarten, den er bis Dezember 2014 besuchte, konnte nicht gewährleisten, dass der Antragsteller keine Erdnüsse oder erdnusshaltige Lebensmittel zu sich nimmt und lehnte die weitere Betreuung ab.
Er wurde daher ab Ende letzten Jahres von seinen berufstätigen Eltern, seiner Großmutter und einer ebenfalls berufstätigen Tante zuhause betreut. Der Landkreis als Träger der Sozialhilfe lehnte den Antrag auf Übernahme der Kosten für eine persönliche Assistenz während des Kindergartenbesuchs ab.
Für die Landessozialrichter in Celle lag ein klarer Fall von Eingliederungshilfe nach § 53 Sozialgesetzbuch XII vor, denn
eine schwere Nahrungsmittelallergie – insbesondere bei Kindern – sei regelmäßig als Behinderung i.S.d. § 2 SGB IX anzusehen. Es sei außerdem glaubhaft gemacht worden, dass erst durch eine persönliche Assistenz für den Besuch des Kindergartens die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, hier die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, ermöglicht werden kann.
Nach den Feststellungen des Gesundheitsamtes bedürfe der Antragsteller während des Besuches des Kindergartens durchgängig der Beobachtung und Begleitung durch eine sachlich unterwiesene Person, um zu verhindern, dass er mit Erdnüssen, „Erdnussprodukten“ oder auch nur Spuren von erdnusshaltigen Lebensmitteln in Kontakt komme.
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Eine besonders qualifizierte Fachkraft (z.B. Krankenschwester) sei aber nicht erforderlich. Im Kindergarten werde eine solche zusätzliche Assistenzkraft de facto nicht vorgehalten. Zudem sei der Antragsteller auch nicht ohne weiteres in der Lage, durch ein – ggf. zivilrechtliches – Vorgehen gegen den Träger des Kindergartens die Stellung einer (weiteren) Assistenzkraft durchzusetzen.
Der Antragsgegner hatte als (für ihn günstigere) Alternative die Betreuung durch eine Tagespflegeperson vorgeschlagen.
Das Landessozialgericht verwarf diesen Vorschlag jedoch mit einem klaren Statement für die Bedeutung des Besuchs einer Kita, gerade auch für Kinder mit Behinderungen:
Unter besonderer Berücksichtigung des gesetzlichen Auftrags der Kindertagesstätten in Niedersachsen (vgl. insbesondere § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. KiTaG), die Kinder in ihrer Persönlichkeit zu stärken, sie in sozial verantwortliches Handeln einzuführen, ihnen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die eine eigenständige Lebensbewältigung im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten des einzelnen Kindes fördern, die Erlebnisfähigkeit, Kreativität und Fantasie zu fördern, den natürlichen Wissensdrang und die Freude am Lernen zu pflegen, die Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen erzieherisch zu fördern und den Umgang von behinderten und nicht behinderten Kindern sowie von Kindern unterschiedlicher Herkunft und Prägung untereinander zu fördern, ist der Besuch eines Kindergartens ein wesentlicher Beitrag zur frühkindlichen Entwicklung.
Dies gilt im Besonderen für ein behindertes Kind. Der behördliche Verweis auf die Betreuung durch eine Tagespflegeperson oder die Berufung auf unverhältnismäßige Mehrkosten (dazu später) darf jedenfalls bei einem über dreijährigen behinderten Kind regelmäßig nicht dazu führen, dass ihm der Besuch eines Kindergartens wegen der Ablehnung der Eingliederungshilfe verwehrt wird.
Es bleibt zum Schluss der Hinweis, dass es sich bei der bewilligten Hilfe zur Eingliederung nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII (Hilfe, die dem behinderten noch nicht eingeschulten Menschen die für ihn erreichbare Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen soll) um eine privilegierte Leistung handelt, die ohne Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen zu erbringen ist.
Da auch keine Kosten des Lebensunterhalts betroffen sind, ist den Eltern auch keine Aufbringung von Mitteln aus dem Einkommen zuzumuten (§ 92 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XII).
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